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08:00 Uhr abends, Gedanken über die Zeit



02.01.2008, 08:00 Uhr abends...

2008! Wie, wir haben schon 2008.

"Kinder wie die Zeit vergeht" hat meine Oma früher immer gesagt.

Damals, da war ich 4, 5, 6 Jahre alt und habe das nie verstanden. Ein Jahr, das war für mich kleinen Jungen, der in einem
fast genauso kleinem Ackerbürgerstädtchen tief in der sachsen-anhaltinischen Provinz lebte, schier eine Ewigkeit. Die Zeit
plätscherte dort träge in dem fast immer gleichem Tageslauf zwischen morgendlichem Aufstehen, dem Waschen und Anziehen,
Frühstücken, in den Kindergarten gehen, wieder abgeholt zu werden, zu Mittag zu essen und dem nachmittäglichen Spiel mit
den Nachbarskindern meist auf der Straße vor der Tür, so dahin, bis man abends wieder ins Bett gebracht wurde. Der
nächste Tag sah fast wie der vorangegangene aus und der darauf folgende auch.

Die einzige Abwechslung war eigentlich der Ort des Spiels und ja, auch manchmal die Art desselben. Auf der Straße vor dem
Haus spielten wir eigentlich immer Vater, Mutter, Kind, wobei die etwas ältere Nachbarstochter immer die "Mutter" war und
mein kleinerer Bruder und ihr kleinerer Bruder die "Kinder" sein mussten, die dann von mir "Vater" auch mal gehörig
zusammengefaltet wurden. Eben wie im richtigen Leben, wo wir Kinder es den Erwachsenen sowieso nie recht machen
konnten. Das führte dann häufig dazu, dass die "Kinder" noch mehr aufmuckten und irgendwann gar nicht mehr mitspielen
wollten. Aber warum waren sie denn die Jüngeren, die mussten halt die Kinder sein, Pech gehabt mit dem Geburtstag.
Anders war es wenn der Spielort der Mauerweg entlang der alten Stadtmauer unseres Städtchens war. Dort waren wir immer
viel mehr. Ja, zu unserer Zeit gab es eben noch viele Kinder in solch kleinen Orten. Dort spielten wir dann Entdecker,
deren "größte" Entdeckung die dort lebenden Schnecken, Würmer oder Ameisen, die dann gebührend gewürdigt und untersucht
wurden, waren, oder Abenteurer, die die vor der Mauer, teilweise also außerhalb der Stadt gelegenen Gebiete für die
Menschheit "erschlossen", oder wir teilten uns in zwei "feindlich" gesonnene Heere und versuchten die jeweilige Burg
der Gegenseite, einen der alten, als Stumpf noch vorhandenen Mauertürme, zu erobern, was auch mal in eine zünftige
Keilerei ausarten konnte.
Dann setzte es am Abend in schöner schlechter Regelmäßigkeit Backpfeifen wegen der mal wieder, zum wievielten Mal wohl,
kaputt gegangenen Hose oder der Jacke, deren Naht wieder nicht unserer Energie standgehalten hatte.

So sahen unsere Tage jahrein, jahraus aus und wir konnten uns überhaupt nicht vorstellen, dass es einmal anders sein würde.
Bis wir in die Schule kamen und die Zeit ein erstes Mal beschleunigt wurde. Das Aufstehen und die üblichen morgendlichen
Rituale mussten jetzt in einem viel kürzeren, gedrängteren Zeitfenster ablaufen, denn man musste ja zu einer bestimmten
Zeit, Punkt 08:00 Uhr, in der Schule sein. Auch die Nachmittage sahen jetzt ein wenig anders aus. In sie vielen noch die
Hausaufgaben, die die Zeit für das gemeinsame Spiel doch manchmal arg beschnitten, ja für die jene manchmal gar nicht
auszureichen schien. Auch die Jahre verkürzten sich scheinbar etwas. Das war noch nicht so dramatisch, noch immer
schien Zeit endlos zu sein, aber es war doch merklich.

Später wurde man älter und es trat zu der sich weiter gefühlsmäßig beschleunigenden Zeit, man machte jetzt eine Lehre und
musste zum Lernen täglich in eine andere Stadt fahren, noch ein weiteres Phänomen hinzu, das man bisher gar nicht so
erlebt hatte. Man konnte zurückblicken in der Zeit und stellte erstaunt fest, dass diese Zeitspanne immer länger wurde.
Man hatte Erinnerungen, die mit: "Weißt du noch, als..." anfingen und sich meist auf die so "unbeschwerte" frühe
Kindheit bezogen.

Seither haben wir selbst oder auch andere für uns noch ein paar Mal an dem großen Beschleunigungsrad der Zeit gedreht,
wir haben einen Beruf gelernt und eine Arbeit aufgenommen, eventuell, so wie ich, noch einmal einen neuen Beruf ergriffen
und den Arbeitsplatz gewechselt, viele haben geheiratet und auch Kinder bekommen und versuchen immer noch im Job Karriere
zu machen.

All das sind diese Umdrehungen, die die Drehzahl unseres Lebens erhöhen und die Zeit knapper, schneller machen und dabei
habe ich die Einflüsse, die von außen an uns herangetragen werden überhaupt noch gar nicht beachtet!
Auch die Zeitspanne unserer Erinnerungen hat sich mit diesen weiteren Beschleunigungen stetig erweitert und einige davon
sind schon wieder verblasst. Man hat Schwierigkeiten, sie sich noch einmal hervorzurufen, manchmal gelingt es auch gar
nicht mehr, sie wurden einfach von neuen Eindrücken überdeckt.

Heute weiß ich, warum meine Oma das genau so gesagt hat und unsere heutige hektische Zeit, die uns das innehalten und
zurückblicken immer schwerer macht, kann man mit der damaligen Welt schon fast nicht mehr vergleichen, denn als ich klein
war, da standen noch die Milchabholtische vor den Nachbarhäusern und die Bauern, die dort wohnten, fuhren mit dem
Pferdewagen auf das Feld hinaus, denn die wenigen Traktoren gehörten der Genossenschaft.

Wie ich schon sagte, damals plätscherte die Zeit gemächlich dahin, dachten wir jedenfalls...

(Bonn,den 02.01.2008)


08:00 Uhr abends, Gedanken über die Zeit
U-Bahn-Haltestelle "Deutsche-Telekom/Olof-Palme-Allee" 08:00 Uhr abends



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